Brand Safety:
Warum Sora 2 für Marken zum unkalkulierbaren Image-Risiko wird
Das KI-Tool Sora 2 revolutioniert die Bewegtbildproduktion und stellt Marken und Medien vor ein neues Dilemma. Eigener Content ist leicht erstellt, jedoch greifen auch andere (ungeniert) zu: Was einerseits Reichweite bringt, aber der Reputation schadet. Wie Unternehmen und Mediakanäle sich dafür wappnen.

Foto: OpenAI
Mit dem kürzlichen Launch des Tools Sora 2 hat OpenAI eine neue Stufe der KI-basierten Bewegtbildproduktion erklommen. Die Technologie kann aus einfachen Text-Prompts ganze Filmszenen generieren – mit realistischer Bewegung, natürlicher Sprache, korrektem Licht und Ton. Und nicht nur das: Mit der sogenannten „Cameo“-Funktion können Menschen sich selbst – oder andere – per einmaliger Aufnahme als digitale Darsteller in beliebige Szenarien einfügen.
Vor allem letztere Möglichkeit ist zweifellos ein Quantensprung - für Marketing, Medienkanäle und Content Creator. Sora 2 könnte für sie jedoch auch zum Albtraum werden - insbesondere in Sachen Brand Safety.
Denn wenn man sich bislang als Werbungtreibender die Frage stellte, in welchem Umfeld eine Werbung erscheint, muss man sich jetzt fragen: In welchen positiven, aber auch negativen Kontexten könnte meine Marke, mein Testimonial oder mein Logo auftauchen – selbst ohne mein Zutun?
Die Content-Flut ist da - mit allen erwartbaren Problemen
Dass diese Frage auch hierzulande eher früher als später von Bedeutung sein wird, zeigt der Run auf die App: Seit 30. September ist Sora 2 erhältlich – offiziell vorerst nur in den USA und Kanada. In den ersten sieben Tagen wurde sie dort laut TechCrunch insgesamt knapp 630.000-mal im iTunes-Store heruntergeladen – und das, obwohl OpenAI sie zunächst nur auf Einladungsbasis zugänglich macht.
Zum Vergleich: ChatGPT erzielte nach seinem Launch im gleichen Zeitraum "nur" 606.000 Downloads. Sora 2 in Deutschland zu bekommen, ist kein Problem: Über Drittanbieter oder via VPN, das die Internetadresse des Users verschlüsselt, ist die App überall zu haben.
Bei der Masse an Usern ist es keine Überraschung, dass das Internet, allen voran die Social-Media-Plattformen, mit Sora 2-produziertem Content geflutet werden. Und auch die ersten befremdlichen und unangenehmen Begleiterscheinungen traten, wie zu erwarten, sofort auf.
Der 2009 verstorbene Superstar Michael Jackson ersteht in einem Clip plötzlich als Angestellter an der Supermarktkasse auf, Cartoon-Figur Spongebob wird zum Diktator im Braunhemd, die TV-Figuren Fred Feuerstein und Barney Geröllheimer landen ebenso in einer Polizeikontrolle wie Gaming-Ikone Super Mario.
Urheberrechtsverstöße en masse. Vermeintlich Transparenz bietende KI-Hinweise wie ein Wasserzeichen und Metadaten erwiesen sich in kürzester Zeit als nutzlos: Schon nach wenigen Tagen gab es jede Menge Apps, mit denen dieses Wasserzeichen entfernt werden konnte.
Dass Studios und Streaming-Anbieter wie Amazon und Netflix unverzüglich ihr Veto einlegten, war logisch – auch Unternehmen und Brands bleiben sicher nicht untätig. Erste Fake-Werbespots, etwa für Red Bull, kursieren bereits.
Dass OpenAI darauf schnell reagieren würde, war klar. Künftig müssen Unternehmen, Creator, eigentlich jedermann, angeben, ob ihr Bild sowie ihr Content für die Nutzung in Sora2 zur Verfügung steht – per Opt-in statt dem bisher leicht zu übersehenden Opt-out. Rechteinhaber sollen außerdem einen Teil des zu erwartenden Umsatzes, den Sora2 generiert, erhalten, kündigte OpenAI-CEO Sam Altman in seinem Blog an. Details dazu gibt es noch nicht.
Das klingt erstmal gut – wird aber vor allem Marken und Creator in ein neues Dilemma stürzen. Denn ihre wichtigste Währung ist mittlerweile Sichtbarkeit. Wer seine Marke oder sich selbst für die Nutzung freigibt, und damit auch für die Remix- oder Cameo-Funktion, wird voraussichtlich dank User Generated Content sichtbarer. Doch in welchem Kontext, ist nicht kontrollierbar.
Wer die Nutzung dagegen verbietet, hat dieses Problem zwar nicht – dafür aber vielleicht bald ein anderes: Derjenige könnte seine Sichtbarkeit verlieren – bei Marken in stark besetzen Segmenten durchaus ein existenzieller Faktor.
Fest steht: Unternehmen, Marketer, Medien, Streamer und Social Media-Plattformen müssen Wege finden, mit der neuen Herausforderung, die Sora 2 bietet, umzugehen. Mit den Chancen ebenso wie mit den Gefahren. Vor allem, wenn es um das Thema Brand Safety geht.
1. Medienkanäle: zwischen Verantwortung und Kontrollverlust
Medienplattformen stehen an vorderster Front dieses Wandels. Sora 2-Videos sind qualitativ so überzeugend, dass die Unterscheidung zwischen realem und synthetischem Material für das menschliche Auge oft nicht mehr möglich ist.
Das Problem: Schon jetzt berichten Plattformmoderatoren von einer Flut an Clips – emotional aufgeladen, politisch manipulativ oder einfach geschmacklos –, die mit klassischen Prüfmechanismen kaum zu bändigen ist. Das öffnet Tür und Tor für Missbrauch: Deepfake-Werbung, gefälschte Testimonials oder manipulierte Pressestatements.
Medienkanäle müssen künftig also mehr tun, als nur Inhalte zu hosten – sie müssen deren authentische Herkunft verifizieren. Das erfordert neue technologische Standards und klare Richtlinien. Brand Safety wird damit zur Infrastrukturfrage: Ohne überprüfbare Content-Authentizität droht der Vertrauensverlust ganzer Plattformen.
2. Social Media: Gefahr der ungewollten Reichweite
In sozialen Netzwerken zeigt sich die Macht von Sora2 besonders intensiv. Gut gemachte KI-Clips gehen häufig schnell viral. Sie können innerhalb von Minuten Millionen-Reichweiten erzielen – ganz gleich, ob sie echt, parodistisch oder gezielt manipulativ sind.
Das Risiko: Marken, Prominente oder Influencer können ungewollt zu Darstellern in Videos werden, die sie nie gedreht haben. Eine Marke, die plötzlich in einem ironischen, politischen oder beleidigenden Kontext auftaucht, verliert in Sekunden die Kontrolle über ihr Image.
Selbst eine harmlose Parodie kann gefährlich werden, wenn der Kontext im Reposting verloren geht. Ein Clip, der ursprünglich als Satire gedacht ist, wirkt in anderer Umgebung plötzlich authentisch und kann so jede Menge Missverständnisse auslösen – der Shitstorm folgt sofort.
Social-Media-Plattformen müssen deshalb stärker differenzieren:
- Wer hat den Clip erstellt?
- Ist der Inhalt eindeutig als KI-generiert erkennbar?
- Gibt es Mechanismen, mit denen Betroffene unautorisierte Darstellungen melden können?
Eine transparente Kennzeichnung sowie die Möglichkeit zum schnellen Löschen eines Clips sind daher immanent wichtig. Ohne sie droht ein verheerender Vertrauensverlust.
Deutscher Mediapreis: Call for Entries!
Die Einreichphase für den Deutschen Mediapreis 2026 ist gestartet! Meldet bis 5. November 2025 eure Media Youngsters an oder reicht zum 17. Dezember eure Kampagnen ein und sichert euch die Chance auf eine Mediapreis-Kugel.
Der Deutsche Mediapreis findet am 10. März 2026 in München statt und zeichnet Exzellence in Media-Ideen und Media-Strategien aus. Zusätzlich vergibt die Jury den Award für die Mediapersönlichkeit des Jahres und die Mediaagentur des Jahres und kürt die Sieger:innen des Media-Youngsters-Wettbewerbs.
3. Creator: Freiheit und Verwundbarkeit zugleich
Auch für Creator ist Sora 2 ein zweischneidiges Schwert. Einerseits eröffnet die Technologie ungeahnte kreative Möglichkeiten: Ideen können ohne Produktionsaufwand in Sekunden zu komplexen Szenen werden. Selbst kleine Teams oder Einzelpersonen können Inhalte auf Filmniveau realisieren.
Doch wer seine Cameo-Identität freigibt, öffnet die Tür für ungewollte Fremdnutzung. Andere könnten das eigene Gesicht oder die Stimme in Kontexten einsetzen, die man nicht kontrolliert – von parodistisch bis peinlich, von harmlos bis rechtswidrig. Was passieren kann, hat Sam Altmann vorgeführt. Er hat sein digitales Ich freigegeben – und ist nun unter anderem beim Ladendiebstahl in einer Filiale der Discounter-Kette Target zu sehen:
Hinzu kommt das Qualitätsrisiko: Fehler in Mimik, Bewegung oder Lichtwirkung können ein Video unecht oder gar grotesk wirken lassen. Das schadet nicht nur dem Clip, sondern auch der Wahrnehmung der Person dahinter. Doch auch hier stellt sich die Frage nach der Sichtbarkeit, die zugunsten der Kontrolle möglicherweise aufgegeben wird: Reichweite versus Reputation.
Auch von Creator Papaplatte gibt es schon jede Menge Sora2-basiertes Material:
4. Marken: Zwischen Chance und Risiko
Für Marken ist Sora 2 eine verführerische Option: Sie können schneller, günstiger und hyperpersonalisiert kommunizieren. Kampagnen lassen sich automatisiert in Varianten ausspielen, global modifizieren und in Echtzeit anpassen. Und das deutlich günstiger als bisher.
Sie könnten dafür jedoch einen anderen, vielleicht höheren Preis bezahlen: Eine Schädigung des Images. Wenn etwa ein Prominenter oder ein Testimonial, echt oder KI-generiert, ein Produkt bewirbt, ohne dass es autorisiert wurde, ist das eine Täuschung. Schon einzelne solcher viralen Fakes können Markenimages nachhaltig beschädigen.
Rechtlich ist die Lage kompliziert. Die Haftungsfrage ist schwammig: Ist OpenAI, der Nutzer oder die Plattform verantwortlich? Dazu gibt es bislang keine bindende Entscheidung. Branchenverbände wie die amerikanische Motion Picture Association fordern, dass Plattformen für Markenmissbrauch mitverantwortlich gemacht werden müssen. Ob sie damit Erfolg haben, ist eher fraglich.
Wie können sich Marken gegen Missbrauch absichern?
- Cameo- und Markenrechte klar vertraglich definieren, Opt-In statt Opt-Out verlangen und eigene Schutzmechanismen (z. B. Whitelists) implementieren.
- Monitoring-Systeme einsetzen, die KI-Inhalte mit Logos, Gesichtern oder Markenfarben erkennen und sofortige Takedown-Prozesse ermöglichen. Idealerweise automatisiert.
- Community Alerts: Ein schnellerer Meldeweg (via OpenAI oder Plattform) sollte definiert sein, falls Inhalte unpassend oder schädlich sind.
- Notfallkommunikation: Marken müssen bereit sein, öffentlich Stellung zu beziehen, falls ein synthetischer Clip viral geht und Imageschaden droht. In solchen Fällen ist Transparenz besonders wichtig.
- Mit Plattformen, Agenturen und Regulierungsbehörden kooperieren, um Branchenstandards für KI-Transparenz und Markenschutz zu etablieren.
- Vorsichtig experimentieren – mit kleinen Kampagnenslots, A/B-Tests, Freigabe in ausgewählten Märkten.
- Themen, Szenarien oder Tonalitäten festlegen, in denen ein Cameo erlaubt ist (z. B. Humor oder Interaktion mit dem Produkt in korrektem Kontext), und in welchen nicht (z.B. Horror oder Politik)
- Challenges testen: Marken könnten bewusst Community-Herausforderungen starten, aber mit klaren Vorgaben.
Fazit: Brand Safety wird zum Gütesiegel
Brand Safety bedeutet im Sora 2-Zeitalter nicht mehr nur: Mein Content darf nicht neben fragwürdigen Inhalten stehen. Sie bedeutet: Meine Marke darf nicht selbst zum Inhalt werden – ohne Kontext, ohne Kontrolle, ohne Zustimmung.
Sora 2 verändert die Spielregeln des Marketing – nicht nur durch Technologie, sondern durch das, was sie sichtbar macht: Wie zerbrechlich Vertrauen ist, wenn Bilder beliebig manipulierbar werden.
Marken, Creator und Plattformen müssen sich auf neue Regeln verständigen:
- Transparenz über Herkunft,
- Kontrolle über Identität,
- Verantwortung im Einsatz.
Brand Safety wird damit nicht mehr nur zur Schutzmauer, sondern zum Qualitätssiegel für Kommunikation im KI-Zeitalter. Denn wer es schafft, Vertrauen zu gestalten, hat die stärkste Währung im digitalen Markt: Glaubwürdigkeit.
Mut, Kompetenz und Leadership-Qualitäten: Das zeichnet die W&V Top 100 aus. >>> Hier findest Du alle W&V Top 100/2025: Menschen, die was bewegen.
Was passiert gerade in Media und Social Media? Das wichtigste Thema der Woche wird ab sofort im kostenlosen Newsletter W&V Media Mittwoch analysiert und eingeordnet. Plus: eine Auswahl der spannendsten aktuellen Ereignisse der Branche. Hier geht's zur Anmeldung>>>
Du willst die schnelle News-Übersicht am Morgen? Starte mit dem W&V Morgenpost-Newsletter bestens informiert in den Tag. Melde dich hier an.
