Randale von Jugendlichen:
Kinos in Trümmern: Ist ein neuer Tiktok-Trend verantwortlich?
Immer der gleiche Film, immer ein ähnlicher Ablauf: Junge Leute haben in mehreren Kinos randaliert und den Abbruch der Vorführungen erzwungen. Als die Polizei eintraf, war der Spuk meist schon vorbei. Bahnt sich da ein neuer Tiktok-Trend an?
Der Kinosaal verwüstet, die Filmvorführung abgebrochen, die Polizei im Großeinsatz: In mehreren Kinos in Deutschland und anderen Ländern ist es in den vergangenen Tagen zu Ausschreitungen gekommen, während dort «Creed III» lief, der neunte Film der Saga um den Boxer «Rocky». Im Netzwerk Tiktok bekommen Videos der Stör-Aktionen große Aufmerksamkeit.
Die Polizei Essen hat nach eigenen Angaben Hinweise auf eine Challenge. Dabei stacheln sich die Akteure dazu an, mit ihren Aktionen den Abbruch von Kinovorführungen zu erzwingen und so Aufmerksamkeit bei TikTok zu bekommen. Doch Fachleute machen noch keinen weitreichenden Trend aus.
In Essen, Hamburg und Bremen war die Polizei am Wochenende mit starken Kräften im Einsatz, weil Kino-Beschäftige der Lage nicht mehr Herr wurden. In mehreren weiteren Städten gab es kleinere Einsätze oder die Kinobetreiber bekamen die Situation selbst in den Griff.
«Gäste standen auf, kletterten über Sitze und warfen mit Snacks durch den Saal», schilderte ein Polizeisprecher in Essen. Die etwa 40 randalierenden Personen hätten weitergemacht, als die Kinovorführung längst abgebrochen worden sei. In Hamburg spricht die Polizei von 60 Störern. Dingfest machen konnten die Beamten niemanden.
Und es traf nicht nur die großen Städte: «Unser Kino 1 glich einem Schlachtfeld voller Müll, verstreutem Popcorn und verschütteten Getränken. Das habe ich so noch nie erlebt», erzählt Reinhard Berens vom Kino Tichelpark in Kleve am Niederrhein. In einigen französischen Städten berichtete die Polizei von tumultartigen Szenen und Massenkrawallen, während «Creed III - Rocky's Legacy» auf der Leinwand lief.
Social-Media-Experten der Polizei in Essen fanden Hinweise auf eine Challenge in den sozialen Netzwerken. «Hierbei zeigen einige Personen ein derart asoziales Verhalten, welches dazu führen soll, einen Kinofilm abbrechen zu lassen», schreibt die Behörde. Vor allem bei Tiktok seien sehr viele Videos aufgetaucht. «Das ist schon auffällig», sagte ein Sprecher.
Andere Experten sind bislang noch zurückhaltend. Für eine typische Challenge fehle dem Thema ein Hashtag und ein typischer Sound, sagt Marcus Bösch, Wissenschaftler an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. «Ohne die verbreitet sich ein Thema bei Tiktok nicht.»
Auch Robert de Lubomirz-Treter von der Landesanstalt für Medien NRW hält die Verbreitung in dem Netzwerk noch für zu niedrig. Durch den Mechanismus des Videoportals könnte aber ein Trend daraus werden, sagt er. In den Kommentaren zu den Clips aus den Kinosälen gebe es gerade auffällig viele rassistische Äußerungen, die den Widerspruch anderer Nutzer erzeugten. «Das sorgt für Interaktion und damit für Traffic und spült das Thema bei noch mehr Menschen auf die Displays.»
Durch diese Prominenz könnte sich das Thema weiter hochschaukeln. «Viele Nutzer wollen ja eine möglichst hohe Zahl an Aufrufen bekommen, denn dann ist man wer. Um eine hohe Zahl an Aufrufen zu bekommen, kann man ein ohnehin schon prominentes Thema aufgreifen, muss aber noch ein bisschen weitergehen als die anderen», erklärt der Medienexperte. Bei den Kino-Randalen gebe es jedenfalls einige Zutaten, die einen kommenden Trend begünstigen könnten. «Zerstörung, sich gegen die Erwachsenen auflehnen, Risiken und Grenzen testen - da ist schon einiges dabei, was Heranwachsende reizen kann.»
Kinobetreiber hoffen inständig, dass es nicht zu einer solchen Kettenreaktion kommt. Die Kinokette Cineplex hat als eine erste Reaktion Security-Kräfte vor den Kinosälen eingesetzt und führe Taschenkontrollen durch. Dabei seien schon Schlagringe, Messer und andere kleinere Waffen aufgetaucht, sagte Geschäftsführer Kim-Ludolf Koch dem WDR.
Andreas Simon, der mehrere Häuser im Saarland betreibt, hat den Film «Creed III» vorsorglich ganz aus dem Programm genommen. Es habe bei mehreren Vorführungen Zwischenfälle gegeben, immer wieder hätten er und sein Team den Film unterbrechen müssen, die Säle hätten anschließend «wie ein einziger Schweinestall» ausgesehen, sagte er dem Saarländischen Rundfunk. Da habe er beschlossen, für sich und seine Mitarbeiter die Notbremse zu ziehen. «Das tue ich mir nicht mehr an.»
Marc Herwig, dpa
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